Programmdebatten. Da stellt man sich lange Parteitagsreden, zähe Antragskommissionen, das aufwändige Ringen um noch so kurze Halbsätze vor. All das passiert auch weiterhin in deutschen Parteien. Zu Recht. Im Zeitalter der selbst verordneten Offenheit heißt das Zauberwort zurzeit jedoch: Basisbeteiligung. Die CDU forderte uns alle kürzlich auf, ihr zu schreiben, „was mir am Herzen liegt“. Die SPD verknüpfte ihre Programmdebatte gar mit einem über mehrere Monate on- und offline geführten „Bürger-Dialog“. Die FDP ließ offen über ihr „Bürgerprogramm“ diskutieren. Man mag sich über Sinn und Unsinn, vor allem aber über die Verbindlichkeit solcher Aktivitäten streiten. Dass sie mittlerweile zum guten Ton gehören, darf jedoch kaum bestritten werden.

Ein bisschen frischer, bunter, kampagnenartiger und spielerischer haben sich die Grünen diesem Thema gewidmet. Im Rahmen des am Wochenende  abgeschlossenen Mitgliederentscheids (#me13) forderten sie die eigene Basis auf, über die neun wichtigsten Regierungsprioritäten zu entscheiden – auszuwählen aus den 58 Vorschlägen im Parteiprogramm. Das Resultat: Ganz vorne lagen Projekte wie „Massentierhaltung beenden“, „Wachstum neu definieren“, „Schuldenbremse für Banken“ oder „Strikte Regeln für Rüstungsexporte“. Keine Überraschungen, aber immerhin.

Interessanter für uns: Die Planer in der grünen Parteizentrale haben sich ein durchaus spannendes Verfahren ausgedacht. Zunächst konnten die Programmvorschläge in den vergangenen Wochen online diskutiert und mit sog.“ Argumenten“ von der Basis unterfüttert und  bewertet werden. Parallel hatten die grünen Mitglieder die Möglichkeit, über Social Media-Kanäle intensiv für ihre Top-Prioritäten zu werben. Herzstück der Aktion waren dann aber die in mehr als 100 Kreisverbänden organisierten Mitgliederversammlungen, auf denen über die Regierungsprioritäten ganz haptisch (per Wahlzettel) abgestimmt werden konnte – inkl. Gimmick in Form von „Joker“-Stimmen.

Die Grünen setzen mit dieser Aktion einen Trend fort, den man als Gamification von Beteiligung bezeichnen kann. Der Begriff meint, dass Mechaniken aus Computerspielen genutzt werden, um Menschen zur Teilnahme an politischen Prozessen zu motivieren. Denn: Auf spielerische Art und Weise haben die Grünen gleich drei Dinge auf einmal geschafft:

  • Die Basis hat sich intensiv mit dem eigenen Wahlprogramm beschäftigt – zum Teil unter Beteiligung ihrer Facebook-Freunde aus dem nicht-grünen Lager.
  • Die Partei hat ihre Sensorik geschärft. Mit einem locker verpackten Basis-Voting hat sie ein noch besseres Gefühl dafür gewonnen, welche Prioritäten die eigenen Mitglieder setzen.
  • Sie haben der Basis Selbstbewusstsein eingeimpft. Schließlich wurde über Regierungsprioritäten abgestimmt. Der Wahlsieg wurde also gleich mitgedacht.

Man möchte ja kein Wasser in den Wein dieser Aktion gießen. Zwei kritische Punkte dennoch zum Schluss. Manko 1: Im Kern konnten sich nur Mitglieder der Partei einbringen. Nicht-Grüne blieben weitgehend außen vor.  Manko 2: Viel zu entscheiden gab es wahrlich nicht. Regierungsprioritäten durch die Basis auswählen zu lassen, ist maximal unverbindlich für die Parteiführung. Denn: Koalitionsverträge festzuzurren ist und bleibt das Hochamt der Verhandlungsdemokratie. Ob sich das grüne Spitzen-Quartett – wenn es denn soweit kommt – dabei strikt an den Mitgliederentscheid halten wird, darf zumindest bezweifelt werden. Das wäre das imperative Mandat 2.0.

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Dr. Maik Bohne

Dr. Maik Bohne

Maik Bohne ist promovierter Politikwissenschaftler. Seit Jahren beobachtet er internationale Wahlkampftrends. Als Projektleiter für die Initiative ProDialog befasste sich Maik Bohne mit dem Transfer US-amerikanischer Wahlkampfmethoden nach Deutschland. Aus dieser Arbeit resultierte das Buch: „Von der Botschaft zur Bewegung. Die 10 Erfolgsstrategien des Barack Obama.“ Seit Juli 2010 ist Maik Bohne bei der IFOK in den Bereichen Open Governance und Digitale Kommunikation tätig. Auf wahl.de wird er seinen Blick auf die Dialog- und Beteiligungsstrategien der Parteien richten.